In Worte schwer zu beschreiben, welche Glückgefühle um 20:57 Uhr MEZ in den Spielern und Zuschauenden des FC Erfurt Nord schlummerten, als der Schiedsrichter nach 10 Minuten Nachspielzeit abpfiff und der Einzug ins Viertelfinale gegen den haushohen Favoriten der Thüringenliga klar gemacht wurde. Doch wir müssen nun die Zeit ein bisschen zurückspulen, um nur annäherend erklären zu können, was an diesem Freitag Abend geschah:
Vor dem Anpfiff und gar Tage vorher schwor sich die Mannschaft, dass das Pokalspiel ein anderes wird, als das Liga-Spiel, bei dem man 2:5 in Gera verlor. Dies wurde bis zum Anstoß auch beibehalten, und auch einige Minuten später. Anders als im Liga-Spiel war zunächst keine deutlich spielerische Überlegenheit von Wismut Gera zu erkennen, doch auch Nord kam schwer ins Spiel. Gera nahm definitiv den Schwung aus dem Liga-Spiel mit und es dauerte 16 Minuten als Jimmy Wagner eine Direktabnahme ins Tor beförderte. Wieder Rückstand, wieder Verunsicherung in der Nord-Mannschaft. 2 Minuten später bekam Gera einen berechtigten Elfmeter zugesprochen, den Florian Schubert souverän verwandelte. Spätestens jetzt ist der Pokal-Abend nach 20 Minuten ein Spiegelbild des Liga-Spiels in Gera und 6 Minuten später wurde es noch dicker. Hinten ein wenig zu verspielt, landet der Ball bei Urban, der das 0:3 markierte und nahezu für eine Vorentscheidung sorgte.
In dieser Phase gegen einen solchen Gegner zurück ins Spiel zu kommen, schien so realistisch zu sein, wie ein linker Ministerpräsident in Bayern. Startelf-Debutant Jasper Grünewald fühlte sich wie ein Kreisklasse-Schiri, so oft wie er sich zum Anstoßpunkt im Mittelkreis aufhielt.
In der 31.Minute setzte sich Marvin Adams prima durch und konnte nur durch ein Foul des Wismut-Torwarts gestoppt werden. Den fälligen Elfmeter verwandelte Max Stolpe eiskalt und bei 60 Minuten verbleibender Spielzeit war eine Aufholjagd durchaus im Bereich des Möglichen. Eben jener Stolpe trieb die Mannschaft im Stile von Oliver Kahn 2001 an, weiter ans Weiterkommen zu glauben. Und promt wirke die Geraer Dampfwalze verunsichert und die Blumenstädter setzten noch in Halbzeit eins den ein oder anderen Nadelstich. Die Erleichterung des Halbzeitpfiffs war der Wismut-Elf anzumerken und so ging es mit einer 3:1 Führung aus Sicht der Gäste in die Kabine.
Welche Kabinenansprache bei den Jungs um Kapitän Wetzold gehalten wurde , bleibt uns wohl für immer verborgen. Doch diese Ansprache hat eine Stunde später Legendenstatus erreicht. Denn was nach Wiederanpfiff passierte, würde keinem Produktionsunternehmen in Hollywood einfallen. Während dort die Geschichte einer einzelnen Person potraitiert wird, wie sie den Weg von oben bis zum Quarterback und Super-Bowl erreicht, wurde in der Grubenstraße ein Star geboren, der sich Mannschaft nennt.
Christian Stieglitz wechselte Pascal M. für Jasper Grünewald ein. Und bereits in der Anfangsphase der zweiten Halbzeit konnte man absehen, dass sich an diesem Freitag Abend der Spielverlauf anders als in der Vorwoche gestaltet. Denn in den ersten 10 Minuten nach Wiederanpfiff hatten bereits Adams und Kliem gute Möglichkeiten nochmals zu verkürzen. Zwei Minuten später war es dann soweit. Marvin Adams wurde wunderbar in Lauf geschickt, hatte nur noch den Wismut-Torwart vor sich und schlenzte den Ball unten rechts in die Maschen ein. Niklas Kliem nutzte zunächst seine Schnelligkeit, um den Ball schnell zum Anstoßpunkt zu bringen. Doch an dieser Stelle verteidigte der Wismut-Stellvertreter-Kapitän besser, als bei den Gegentoren und sorgte dafür, dass der Ball 20 Sekunden später als erhofft den Anstoßpunkt erreichte.
Das 2:3 sorgte letztendlich dafür, dass Erfurt Nord nun mit leichten Vorteilen gegenüber Gera das Spiel bestimmte. Das "gezwungen sein mehr Fußball zu spielen" funktionierte nun auch bei Erfurt Nord immer besser, sodass sich spätestens jetzt ein Fußballspiel auf Augenhöhe entwickelte. Die Jungs aus der Grubenstraße waren immer mehr am Drücker. In der 67. Minute scheiterte Eckermann noch am Wismut Torwart und dieser konnte noch auf der Linie retten.
In der 69. Minute köpfte Eckermann dann strategisch die Hand eines Gegenspielers im Strafraum an und der fällige Elfmeter wurde erneut von Stolpe verwandelt. 3:3 nach 0:3 Rückstand und 20 Minuten auf der Uhr. Und mittlerweile war jedem einzelnen der Zuschauenden klar, dass sich der Eintritt und das Aushalten in der Kälte gelohnt haben.
Die Wismut-Spieler wirkten teilweise komplett von der Rolle, sodass kein einziges Kopfball-Duell gegen Panzer-Paschi gewonnen werden konnte. Und dementsprechend war das Momentum nach dem 3:3 auf der Seite der Stiege-Elf. Und in der 78.Minute war es dann soweit: Tim Fischer spielte einmal mehr einen gefährlichen Diagonalpass in den Strafraum und landete bei Marvin Adams, der fast von der Grundlinie den Ball über den Torwart hebte. Panzer-Paschi lief in der Zeit er Abwehr davon und beförderte den Ball über die Torlinie. Ekstase pur an der Grubenstraße. Nicht mal der provisorische Schwertransport fiel auf und die Lautstärke der angereisten Gera-Fans minimierte sich auf die Lautstärke einer kaputten Klatschpappe.
Es waren offiziell noch knapp 10 Minuten zu spielen, doch dass es fast 20 Minuten noch ging, erzählen wir jetzt. Zunächst hatte Panzer-Paschi eine Kopfballchance zur Vorentscheidung knapp über das Tor bugsiert. Gera versuchte nochmal alles, doch die letzten Minuten waren geprägt von taktischen Fouls auf beiden Seiten und mehreren Einsätzen der medizinischen Abteilungen. Zu allem Überfluss erhielt Nord-Keeper Ionut einen Platzverweis wegen Nachtretens, nachdem er im Torraum gefoult wurde. Panzer-Paschi musste ins Tor, doch bis er angezogen war, vergingen wieder einige Minute, sodass nach fast 10 Minuten Nachspielzeit der Einzug ins Viertelfinale feststand.
Das Ausschütten der Glückshormone wirkte sich zunächst auf dem Platz aus, als Fans und Jugendspieler ihre Flutlich-Helden kuschelten. Danach widmete man sich dem Leeren von edlen Tropfen in der Kabine und in der ansäßigen Vereinskneipe.